Ein Beitrag von Valerie Kottmann, Leitung Stationäre Einrichtungen

Nachhaltigkeit –  ein Wort in aller Munde. Ob in der Politik oder den Nachrichten, der Werbung von Lebensmitteln oder im Stammsupermarkt…alle wollen jetzt nachhaltiger werden. Das Klima und damit den Planeten zu schützen, das ist wohl in den meisten Fällen der vermeintliche Grund für dieses Bestreben.

Aber was steckt eigentlich dahinter, was bedeutet Nachhaltigkeit überhaupt? Hat das immer nur mit dem Klima zu tun? Wenn wir jetzt alle nur noch ein Mal pro Jahr ins Flugzeug steigen, anstelle von unzähligen Kurztrips am Wochenende und das Reinigungsprodukt mit der klimaneutralen Verpackung einkaufen, handeln wir dann schon nachhaltig?

Bezieht sich Nachhaltigkeit nur auf das private, individuelle Konsumieren und Handeln, oder haben wir auch beispielsweise im Job die Verantwortung der Nachhaltigkeit? Welche Verantwortung trägt das Individuum überhaupt, oder geht es hier viel eher um eine politische Diskussion?

Fragen über Fragen, welche an dieser Stelle noch unendlich fortgeführt werden könnten.

Um sich dem Thema zu nähern, macht es demnach Sinn, zunächst zu schauen, was das Wort „Nachhaltigkeit“ überhaupt bedeutet. Denn wenn alle nur davon reden, aber nicht wirklich wissen, worum es geht, kommen wir nicht voran.

Also, was bedeutet Nachhaltigkeit?

Der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE), welche die deutsche Bundesregierung in Fragen der Nachhaltigkeit berät, trifft folgende Definition:

„Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig zu wirtschaften bedeutet also: wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.“

Diese Definition beruht auf dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, welches so aussieht:

Nach dieser Definition werden ökonomische, ökologische und soziale Elemente zusammengeführt und gleichgesetzt. Die ökologische Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Vielfalt der Schöpfung mit den natürlichen Lebensgrundlagen für uns und kommende Generationen bewahrt werden sollen. Ressourcen sollen nur in dem Ausmaß konsumiert werden, wie die Regeneration der Natur es erlaubt. Die ökonomische Nachhaltigkeit heißt, dass eine leistungsfähige Wirtschaft gewährleistet werden soll, die nachfolgenden Generationen keine Probleme hinterlässt. Und die soziale Nachhaltigkeit zielt auf gleiche Chancen, Wohlstand, Bildung und Kultur für alle ab.

Die Hauptkritik dieses Modells bezieht sich darauf, dass es zu offen sei und in unserer Gesellschaft die drei Säulen faktisch nicht gleichberechtigt seien, da besonders der ökologische Teil viel zu stark vernachlässigt würde, im Vergleich zur Wirtschaft beispielweise. Es handele sich hierbei demnach um eine schwache Nachhaltigkeit.

Ein Modell der „starken Nachhaltigkeit“ beinhaltet demnach den Fokus auf dem Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit, welche als Fundament für die anderen Ziele dient. Als neue Säule kann dann noch die Kultur hinzukommen.

Auch die UN beschäftigt sich seit viele Jahren mit dem Thema der Nachhaltigkeit und hat im Jahr 2015 die Sustainable Development Goals (SDGs) veröffentlicht. Diese 17 Nachhaltigkeitsziele mit ihren 169 Unterzielen sind von allen Mitgliedsstaaten anerkannt. Bis 2030 soll die nachhaltige Entwicklung aller Nationen mithilfe der Ziele in großen Schritten vorangetrieben werde. Klar ist hier, dass die Erreichung der Ziele nicht nur Aufgabe der Politik, sondern auch der Wirtschaft, Unternehmen, Zivilgesellschaft und auch jeder einzelnen Person ist.

Demnach sind auch wir als Träger der Kinder- und Jugendhilfe dazu verpflichtet, unseren Beitrag zu leisten und uns mit dem Thema der Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Wir als Träger haben Einfluss auf unsere Klient*innen, wir können zu einer Veränderung beitragen, ABER: dies geschieht nicht von allein oder durch die inflationäre Benennung von Nachhaltigkeit. Schaut man sich bei anderen Unternehmen um, so wird deutlich, dass sich bereits einige auf den Weg gemacht haben, Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln (u.a. Heinrich-Böll-Stiftung, Microsoft, Bosch u.v.m.). Ob diese wirksam und wirklich nachhaltig sein, soll hier nicht besprochen werden, es wird aber deutlich, dass Hans-Wendt hier nachziehen muss.

Beschäftigt man sich genauer mit den Zielen, stellt man fest, dass diese viele Überschneidungen und gegenseitige Wechselwirkungen aufzeigen und nur mit einem interdisziplinären Ansatz erreicht werden können. Nicht alle Ziele betreffen alle Akteur*innen und nicht alle Ziele können gleichzeitig bearbeitet werden. Nachhaltige Entwicklung ist ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird. Um einen erfolgreichen Prozess zu gestalten, ist nicht nur das Handeln wichtig, sondern besonders auch die Haltung und die Bereitschaft dazu.

Im Falle von Hans-Wendt ist es demnach sicher am sinnvollsten sich auf einige übergreifende Themen zu fokussieren und diese zu verfolgen. Beispiele, welche in allen Bereichen von Hans-Wendt eine große Rolle spielen und in vielen der Ziele vorkommen sind:

  • Klimaschutz und Klimagerechtigkeit
  • Geschlechtersensibles Arbeiten
  • Antidiskriminierungs-Arbeit

Bezogen auf den ersten Punkt, hat Hans-Wendt sicherlich schon einiges getan (green nudging, EnerKita, Bikeleasing, E-Auto und Ladestation), jedoch bleibt es bei einzelnen Projekten oder Aktionen – es fehlt hier die Implementierung in die Unternehmenskultur.

Ein großes Problem bei der Beschäftigung mit dem Thema der Nachhaltigkeit, ist das sogenannte „green washing“, also das Nutzen von Schlagworten (bspw. Nachhaltigkeit, Inklusiv, Bio…) zu PR Zwecken, ohne dass hier wirklich Inhalte oder Handlungen dahinter stehen.

Das neue Hans-Wendt-Logo wirbt beispielsweise mit dem Slogan „Willkommen“, was suggerieren soll, dass Hans-Wendt für alle Menschen offen ist und alle willkommen heißt. Aber ist dies auch wirklich so? Ein Blick auf die Belegschaft zeigt, die Mehrheit der Mitarbeitenden ist Weiß und weiblich, der Standard in der sozialen Arbeit. Eine Repräsentation von Minderheiten findet sich fast gar nicht wieder. Dies ist nicht nur im Sinne von Gleichstellung wichtig zu betrachten, sondern auch im Hinblick auf den immer stärker werdenden Fachkräftemangel.

Die Beschäftigung mit dem Thema der Nachhaltigkeit zeigt ganz deutlich, dass sich auch soziale Unternehmen neu aufstellen müssen. Es reicht nicht mehr aus, sich vereinzelt mit diesen Themen zu beschäftigen. Soziale Akteure haben eine ganz starke Vorbildfunktion in der Gesellschaft und müssen diese ernst nehmen. Wir sind mit unserer Arbeit mit dafür verantwortlich, die Welt für die kommenden Generationen zu gestalten. Und auch wenn dies zunächst viel Arbeit bedeutet, so sind die Vorteile zahlreich. Hier nur ein paar Beispiele:

  • Eine Verinnerlichung der SDGs in allen Konzepten und Einrichtungen steigert die Qualität der Arbeit und trägt so langfristig zur Qualitätssicherung bei.
  • Hans-Wendt unterstützt mit nachhaltiger Arbeit junge Menschen/Klient*innen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
  • Partizipation der Mitarbeiter*innen wird gefördert, damit auch die Identifikation mit Hans-Wendt und die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen.
  • Hans-Wendt gewinnt an Attraktivität und der Prozess trägt zu einem jüngeren, grüneren, bewussteren Image der Stiftung bei, welches zur Akquirierung neuen Personals beiträgt.
  • Es gibt viele Möglichkeiten der Anerkennung, Förderung und Auszeichnung für nachhaltige Entwicklung (z.B. von der Deutschen UNESCO Kommission).

Deshalb mein dringender Appell:

Beschäftigt euch mit dem Thema! Ich weiß, das Alltagsgeschäft überrennt einen mehr als man sich das wünscht, aber es gibt hier keine Ausreden. Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen, denn wenn wir das nicht tun, haben wir bald auch kein Alltagsgeschäft mehr. Unwissenheit ist keine Entschuldigung, das Internet und die sozialen Medien sind voll davon. Es kann einfach nicht sein, dass wir uns als sozialer Akteur nicht ausgiebig mit eines der wichtigsten Themen des 21. Jahrhunderts befassen. Und mit befassen meine ich nicht nur, dass wir Konzepte entwickeln müssen, die Nachhaltigkeit implementieren, sondern wir müssen diese auch leben.

Quellen: